Von der Unmöglichkeit ein diskriminierungsfreies Kinderbuch zu schreiben ...und dem Versuch es trotzdem zu tun.

Lesedauer: 5 Minuten
Grafik von Tanja Abou
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Grafik von Tanja Abou

 

Auf der Liste meiner Berufswünsche stand „Kinderbuchautorin“ - soweit ich mich erinnern kann – wenn überhaupt nur sehr weit unten auf der Liste. Die vielen Gedanken und Entscheidungen, die hinter einem solchen Buch stecken, sieht man ihm auf den ersten Blick gar nicht an. Dieser Artikel soll ein wenig „hinter die Kulissen“ blicken und die Diskussionsprozesse um „Raumschiff Cosinus“ transparenter werden lassen.

 

Dass ich „Raumschiff Cosinus“ überhaupt gemacht habe, ist meiner Social-Justice-Ausbildung zu verdanken. Während dieser habe ich begonnen die Charaktere für das Buch zu entwerfen. Vielmehr hatte ich da noch gar kein Buch im Kopf, sondern habe nur lose, kleine Zeichnungen vor mich hingemalt. Erst Gespräche mit der Wahlfamilie, Freund_innen und dem erweiterten sozialen Umfeld ergaben die Idee, ein Kinderbuch zu machen. Ein Kinderbuch ohne Geschlechtszuschreibungen. In dem Arbeitsverhältnisse thematisiert werden. Und in dem intersektionale Machtverhältnisse abgebildet werden! Das war zumindest der Anspruch.

Der Berliner NoNo-Verlag erklärte sich zur Zusammenarbeit an einem Science-Fiction-Kinderbuch bereit. Von da an dauerte es noch etwa ein Jahr, bis es gedruckt wurde.

In diesem Jahr habe ich viel über das Machen von Kinderbüchern gelernt. Da der NoNo-Verlag mit „Unsa Haus“ schon Erfahrungen gesammelt hatte, habe ich viele wertvolle Tipps bekommen: Welche Schriftgröße für Kinder benutzt werden sollte; dass eine Handschrift in eine Computertastatur-taugliche Schrift umzuwandeln für einen Comic eventuell nett wäre, für ein Kinderbuch aber nicht geeignet ist, da die Buchstaben deutlich unterscheidbar sein sollten; dass eine bestimmte Seitenzahl eingehalten werden muss – und viele weitere technische Details, über die ich mir vorher noch gar keine Gedanken gemacht hatte.

Eine erste zeichnerische Änderung ergab sich bei der Arbeit an einer der ersten Figuren. Cpt_Cosmo - bis dahin noch die „Hauptfigur“ der Geschichte – war, wie auf den Entwürfen aus der Ausbildung, blond und weiß. Das hatte ich bis dahin nicht problematisiert, da jede Figur für eine reale Person steht – aber als eine weitere weiße Hauptfigur in einem Kinderbuch, in dem Cpt_Cosmo das einzige als menschlich lesbare Lebewesen war? Die Zweifel daran, dass es mehr weißblonde Hauptfiguren bräuchte, führten dazu, dass Cpt_Cosmo komplett blau wurde.

 

 

Spätestens da wurde klar, dass „Raumschiff Cosinus“ ein längerer Prozess werden musste, in den mehr Menschen eingebunden werden sollten. Eine befragte Testgruppe entdeckte in der Geschichte koloniale Züge und sogar grenzüberschreitendes Verhalten.

Für diejenigen, die „Raumschiff Cosinus“ nicht kennen, die Geschichte in Kürze: Nimb – ein Unflugdrache – schlüpft auf dem Planeten Magentos aus einem Ei und sucht sich Cpt_Cosmo und Wuschel sowie Bordcomputer MICZ als Wahlfamilie aus. MICZ ist aus Protest gegen mangelnde Wartung auf dem Planeten gelandet und weigert sich weiterzufliegen, wenn eine umgehende Wartung nicht zugesagt wird. Es gibt Streit und Lösungen dafür – und eine neue Mission am Schluss.

So weit, so gut. In der alten Fassung des Buches landen Cpt_Cosmo und Wuschel auf dem Planeten, weil ihnen Nimb als Lebewesen angezeigt wird und sie Nimb mehr oder weniger „einsammeln“. Wenn ich mir das jetzt so verkürzt durchlese, bin ich der Gruppe – und meinem Verlag – sehr, sehr dankbar, dass sie mich ins Grübeln und Zweifeln gebracht haben. So sehr, dass ein Bild, in dem Cpt_Cosmo Nimb aufweckt, rausgeflogen ist, der Text noch mal völlig umformuliert wurde und auch der Buchtitel – bis dahin noch „Cpt_Cosmo“ - verändert wurde.

Bei einem abendlichen „Das können wir so auf keinen Fall drucken!“-Treffen mit Ben Böttger und Ina Schneider vom Verlag, in dem die Veränderungen besprochen wurden, kam auch die Frage auf, wie die Figuren gleichwertig im Buch auftauchen können. Am Ende wurde das über Zählen gelöst: Jede Figur sollte den gleichen Aktions- und Handlungsspielraum haben und gleich viel Raum bekommen.

Das Umschreiben und teilweise Um-Zeichnen war ein mittelholpriger Prozess, den ich in durchgemachten Nächten und – mangels eigenem - an geliehenen Laptops mit den entsprechenden Grafikprogrammen, zwischen Lohnarbeit und Restleben, nach einer gefühlten Ewigkeit fertig bekommen habe. (Das ist die Stelle im Text, wo ich gern darauf hinweisen möchte, dass „Raumschiff Cosinus“ auf Autorinnenseite ein ehrenamtliches Projekt ist. Nicht für irgendeine Form von Schulterklopfen - aber für diejenigen, die sich das Schreiben von nicht normativen Kinderbüchern als Lebensunterhalt verschaffenden Job vorstellen: Ist nicht als eingleisige Planung zu empfehlen.)

Unbezahlbar ist für mich allerdings der Lerneffekt, den ich mit dem Buch gemacht habe. Nicht nur der geschärftere Blick auf Machtverhältnisse, die ich aus meiner weißen Position nicht deutlich gesehen habe. Auch ein ganzes Buch ohne Personalpronomen zu schreiben, war ein bereichernder Prozess. In meinem Alltag, in dem es viele Menschen gibt, die sich als neben, über, unter, irgendwo-zwischen oder außerhalb einer zweigeschlechtlichen Skala definieren, kommt mir diese Übung sehr entgegen und ich kann immer in „Raumschiff-Cosinus“-Sprache (oder für Eingeweihte: kosmonautisch) switchen und eine genderneutrale Sprache benutzen.

Die Zusammenarbeit mit dem Verlag war in meinem Fall ideal, und ich hatte viele helfende Hände und Köpfe, die mich unterstützt haben, das Beste zu machen, was ich zu dem Zeitpunkt produzieren konnte.

Etwas über zwei Jahre später würde ich wahrscheinlich einiges anders machen. Es gab diverse Diskussionen nach dem Erscheinen, die mich wahrscheinlich dazu bewegen würden, Cpt_Cosmo doch pink zu zeichnen – da offenbar blau in der Verbindung mit geschlechtsneutraler Sprache als durchgängig „männlich“ gelesen wird. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass das mit fast allen Figuren passiert – auch den nicht blauen.

Ich wollte mit „Raumschiff Cosinus“ ein Buch schreiben, das nicht nur für gender-sensible Personen ist, sondern auch für die, die dem Thema noch nicht oder wenig begegnet sind und die dann zusammen in die Diskussion gehen können – und auf die erfolglose Suche im Buch, welches Geschlecht die Figuren denn nun wirklich haben.

Ich wollte ein Buch, in dem Arbeitskämpfe einen Platz bekommen.

In dem unbezahlte Reproduktionsarbeit kritisiert wird.

Und ich wollte ein Buch, das Spaß macht.

Wie weit das gelungen ist oder nicht, beurteilen wahrscheinlich alle anders. Wie im Titel gesagt ist es wahrscheinlich unmöglich, ein „diskriminierungsfreies“ Kinderbuch herauszubringen. Aber ich bin überzeugt, dass es sich lohnt, es trotzdem zu versuchen.